Vereint statt vereinzelt
Eine Lebensform kehrt zurück: Mit diesem Haus in Vorarlberg hat die Architekturwerkstatt Dworzak Grabher drei Generationen unter ein Dach geholt – ganz so, wie es früher selbstverständlich war. Wie viele Vorteile es hat, zusammen zu leben statt vereinzelt, kann sich jeder vorstellen, der hin und wieder in Urlaub fährt, sich die ein oder andere Nacht mit einem Neugeborenen um die Ohren geschlagen hat oder sich einfach Gedanken über seine Energiekosten macht.
Gemeinsam unter einem Dach ist vieles leichter. Das fängt schon beim Bauen an. „Zusammen Bauen bringt Kostenersparnis in Errichtung und Erhalt und einen effizienten Umgang mit Grund und Ressourcen. Das Neben- und Miteinander- Wohnen bietet außerdem lebendige Nachbarschaft.“ So fasst Architekt Stephan Grabher die Gedanken zusammen, die er für die Familien Lingg und Grabher – also auch für sich selbst – architektonisch realisiert hat. In einem Gebäude und unter einem Dach leben neun Menschen im Alter von einem bis 71 Jahren. Sie sind zusammen und doch hat der Architekt „angemessenen Respekt vor den legitimen Ansprüchen individueller Privatheit und den heutigen Wohnbedürfnissen“ gezeigt und verwirklicht. So heißt es in der Begründung der Jury für den Vorarlberger Holzbaupreis, den das Mehrfamilienhaus in der Kategorie „Mischbau“ gewonnen hat. Mischbau weil es auch auf Materialebene scheinbare Gegensätze harmonisch vereint: Holz und Beton.
Changierendes
Aus Beton ist die sichtbare Bodenplatte. Auf ihr steht ein Massivbau, ebenfalls aus Beton und aus mit Kalk verputztem Mauerwerk. Darüber stülpen sich Dach und Fassade in Holzbauweise. Auch die Atmosphäre der Innenräume entsteht durch diesen Wechsel der Materialien: Die Decken sind aus rauem Sichtbeton im Erdgeschoß und aus eleganter Weißtanne im Obergeschoß. Die Treppe, die hinaufführt, ist aus warmer Eiche, die Wände ebenfalls in rohem Beton belassen. Die hölzerne Gebäudehülle außen liegt wie ein Kompass in der Landschaft, denn sie ist an den Himmelsrichtungen ausgerichtet: Die wetterexponierte Außenhaut im Norden ist dunkel, geschlossen und vertikal. Die wasserbasierte Vergrauungslasur Lignovit Platin im Farbton Onyxschwarz bewahrt sie vor den belastenden Umwelteinflüssen, sie reflektiert und spielt – je nach Tages- und Jahreszeit – mit den Sonnenund Lichtverhältnissen. Gestalterisch nimmt Grabher hier wieder die Verknüpfung von Gegensätzen auf: Die durch Vordächer geschützten Hauseingänge sind helle Ausschnitte in der dunklen Front. Auch die Fassade im Süden bedeckt ein Vordach, sodass die Weißtanne hier horizontal und mit offenen Fugen verlegt wurde und unbehandelt blieb. Die ausgesetzteren Balkone hingegen sind wieder dunkel-silbrig lasiert.
Verbindendes
Als trennendes und verbindendes Element zugleich hat Stephan Grabher einen „Schopf“ in das obere Stockwerk gesetzt. Der freie Raum darunter wurde zunächst als Garage für alle nicht motorisierten Fahrzeuge wie Fahrräder, Anhänger, Roller & Co. genutzt. „Er war als räumliche Reserve für eine Erweiterung angelegt und tatsächlich wurde der obere Teil schon heuer ausgebaut, da meine Schwester Nachwuchs bekommen hat“, erklärt der Architekt. Die Großfamilie wächst also weiter und das „altmodische“ Haus, das zeitgemäßer nicht sein könnte, wächst mit. Das Konzept vom generationenübergreifenden Bauen hat die Jury des Holzbaupreises begeistert: „Nichts spricht gegen ein Einfamilienhaus, alles gegen sein Freistehen. Nur das isoliert stehende Einfamilienhaus ist die Quelle von Zersiedlung und sozialer Vereinzelung“, heißt es in der Begründung für die Auszeichnung. Stephan Grabhers „Dreifamilienhaus“ zeigt leuchtturmhaft, wie man diesen Problemen stilsicher entkommt.
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