Im Dialog
Bereits Anfang der 1990er Jahre sorgte das vom Architekten Walter Stolz geplante Wohnhaus im bayerischen Voralpenland für Aufsehen: Moderne Architektur inmitten einer Obstbaumwiese am Rand eines ländlichen Weilers, vollständig in Holzbauweise errichtet, wie sie ansonsten nur für Scheunen und Wirtschaftsgebäude üblich war. 30 Jahre später galt es, diese solitäre Bauikone mit einer neuen Nutzung zu erweitern: Mit einem raffiniert geplanten Zubau ergänzte Stolz das Wohnhaus um ein Ateliergebäude und schuf ein homogenes Ensemble im Dialog von Alt und Neu.
Schon seit vielen Jahren ist Elisabeth Mehrl, die Bauherrin, als Malerin erfolgreich. Ihr Atelier hatte sie in einem benachbarten Bauernhof untergebracht. Geeignete Räumlichkeiten für ihre künstlerische Arbeit zu Hause fehlten jedoch bislang. Das Eigenheim am Ortsrand um einen Anbau zu erweitern schien naheliegend, doch die Ausgangssituation war verzwickt: Die einzige Möglichkeit zur Erweiterung des Bestandsbaus bot sich an dessen Westseite. Doch gerade diese war der Hausherrin heilig, bot doch der westseitige Bereich durch die Ausrichtung zur Nachmittags- und Abendsonne hohe Wohnqualität und einen unverstellten Ausblick. Ein Dilemma – bis dem Architekten die rettende Lösung einfiel: Mut zur Lücke! Walter Stolz trennte und verband die beiden Gebäude durch eine Zwischenzone: Ein Durch- und Übergang, gegen die Straße von der durchlaufenden Holzfassade geschützt, von einem Glasdach überspannt. So gelangt man in wenigen Schritten und trockenen Fußes von einem Gebäude ins andere, das Glasdach und der Gitterrost-Boden garantieren, dass auch das Erdgeschoß des Wohnhauses noch reichlich Tageslicht erhält. Darüber hinaus plante Walter Stolz zwar das Obergeschoß als profilgleiche Fortsetzung des Wohnhauses, das Erdgeschoß aber deutlich zurückversetzt. So entstand ein überdachter Vorplatz, der als Außenatelier genutzt werden kann und zugleich die Westfassade des Wohnhauses zur Umgebung hin öffnet.
Homogene Einheit
Ein achtsamer Umgang mit der Landschaft ebenso wie mit der Optik des bestehenden Gebäudes war eine Grundvoraussetzung in der Planung des Atelierhauses: „Ich wollte das Alte und das Neue nicht additiv nebeneinander stellen, sondern Alt und Neu als gemeinsames Ganzes weiterdenken“, sagt der Architekt. Wie schon das Wohnhaus nimmt auch der Zubau Bezug auf die regionale Bautradition – die langgestreckte Bauform verweist auf die bäuerliche Architektur des Alpenraums. Das westseitige Fenster des Atelierhauses, das durch ein fassadenbündiges Faltschiebeelement komplett verdeckt werden kann, verstärkt diesen Eindruck noch – ist die Fassade geschlossen, erinnert der Bau von Ferne an einen Heustadel. Obwohl Altund Neubau sich als selbständige Baukörper darstellen, bilden sie eine homogene Einheit. Dafür ist auch die Fassadengestaltung verantwortlich: Wie schon der Altbestand, wurde auch das Atelierhaus als Holzbau mit einer Fassade aus sägerauer Fichte realisiert. Anschließend erhielten beide Gebäude durch eine Beschichtung mit der Effektlasur ADLER Pullex Platin in einem dunklen, metallisch funkelnden Anthrazitgrau ein einheitliches Erscheinungsbild. Gestrichen wurde die Fassade übrigens von Meisterhand, nämlich Brett für Brett von Elisabeth Mehrl selbst: „Keine sehr kreative, aber zumindest eine meditative Arbeit“, so die Künstlerin. Die Mühe hat sich gelohnt: Heute zeigen sich Wohn- und Atelierhaus als eine homogene Einheit, die vorbildlich für eine gelungene Erweiterung eines Bestandsbaus stehen können – und aus diesem Grund auch, als „ein Bauwerk, das sich verwandelt und doch gleich bleibt“, mit dem 2. Preis beim Rosenheimer Holzbaupreis 2020 ausgezeichnet wurde.
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