Den Weg zur Nachhaltigkeit kann man nur in vielen einzelnen Schritten gehen
Seit 2018 ist ADLER als eines der ersten Unternehmen seiner Branche klimaneutral. Künftig geht ADLER noch einen großen Schritt weiter und macht sich auf den Weg Richtung „Real Zero“, einer drastischen Reduktion der CO₂-Emissionen. Wie groß der „Carbon Footprint“ von ADLER heute ist und welche Möglichkeiten es gibt, ihn zu verkleinern, darüber haben wir mit dem F&E-Projektleiter Dr. Clemens Le Levé gesprochen.
29.07.2022
Herr Le Levé, was versteht man eigentlich genau unter „Klimaneutralität“.
Klimaneutral zu arbeiten bedeutet, dass die eigene Arbeit keine negativen Auswirkungen auf das Klima hat. Der Weg dorthin umfasst drei Schritte: Man muss seine CO2-Emissionen erfassen und diese Emissionen so weit als möglich reduzieren. Dieunvermeidlichen Restemissionen werden schließlich durch Klimaschutz-Zertifikate ausgeglichen.
Wie funktioniert dieser Ausgleich?
Mit den international anerkannten Zertifikaten werden Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern finanziert, die dort zu mehr Klima- und Umweltschutz beitragen – z.B. Wasser- oder Solarkraftwerke für saubere Energie oder Waldschutzprogramme, da Wald ein wichtiger CO2-Speicher ist. Pro Tonne CO2, die wir ausstoßen, kaufen wir ein Zertifikat, mit dem anderswo auf der Erde eine Tonne CO2 eingespart werden kann. So entsteht ein globales Gleichgewicht. Dieser Ausgleich darf aber kein „Greenwashing“ sein, mit dem man sich „freikauft“. Oberstes Ziel muss es sein, die eigenen Emissionen schrittweise so weit als möglich zu reduzieren – und dazu ist es wichtig, sie genau zu kennen und möglichst präzise zu berechnen.
Wie werden die CO2-Emissionen eines Unternehmens erhoben?
Man unterscheidet dabei zwischen drei Gruppen von Emissionen, den sogenannten Scopes. Scope 1 und 2 sind, vereinfacht gesagt, jene Emissionen, die ein Unternehmen direkt verursacht: Beim Energieverbrauch für die Produktion, bei der Beheizung der Gebäude oder beim Treibstoff für die firmeneigenen Fahrzeuge. Dabei profitiert ADLER davon, dass es bei uns keine energieintensiven Produktionsprozesse gibt und wir den dafür benötigten Strom aus erneuerbaren Quellen beziehen. Klimarelevant sind deshalb nur der Treibstoff für unsere Fahrzeuge, Emissionen aus der Abluft sowie Erdgas bzw. Öl für die Beheizung – hier können wir zum Glück flexibel wechseln und sind damit unabhängig von der Gasversorgung. Darüber hinaus betreiben wir die katalytische Nachverbrennung im URZ mit Erdgas und nutzen die entstehende Abwärme zum Erhitzen des Thermoöls.
Und welche Emissionen werden in Scope 3 erfasst?
Scope 3 umfasst alle indirekten vor- und nachgelagerten Emissionen, die in der Wertschöpfungskette entstehen. Das umfasst für ADLER etwa die Herstellung und Lieferung der einzelnen Rohstoffe, Gebinde oder Verpackungsmaterialien, die Verarbeitung unserer Produkte bei unseren Kunden sowie die Entsorgung. Auch alle Emissionen rund um neu angeschaffte Anlagen, Fahrzeuge und Gebäude fallen hier hinein oder Geschäftsreisen und Arbeitswege unserer Mitarbeiter.
Wie genau lassen sich diese Werte überhaupt ermitteln?
Das ist sehr unterschiedlich. Manche Bereiche wie z.B. Treibstoff- oder Gasverbrauch lassen sich sehr genau ermitteln, in anderen Bereichen sind wir derzeit noch auf Schätzungen angewiesen. Um genau beziffern zu können, welche Emissionen bei der Herstellung eines Bindemittels anfallen oder bei der Verarbeitung unseres Lacks bei einzelnen Kunden, fehlen uns zum Teil noch genaue Daten. Aber hier wird sich in den nächsten Jahren viel tun, denn so wie wir es bei ADLER machen, werden auch unsere Lieferanten und Kunden zunehmend ihre CO2-Emissionen erfassen, sodass wir zukünftig über immer genauere Werte verfügen werden.
Welche dieser Emissionen werden aktuell von ADLER kompensiert?
Wir erfassen und kompensieren schon seit mehreren Jahren alle Emissionen aus Scope 1 und 2. Darüber hinaus kompensieren wir auch einzelne Bereiche aus Scope 3: Alle Dienstreisen sowie die Arbeitswege unseres Teams sind klimaneutral, weiters unser Bedarf an Papier und Karton, unsere Computer-Hardware, unser Wasserverbrauch sowie unsere Abfälle. Insgesamt liegen wir damit bei rund 4.500 t CO₂ pro Jahr, die wir über Klimaschutz-Zertifikate für ein Wasserkraft- sowie ein Waldschutzprojekt in Brasilien ausgleichen. In Zukunft wollen wir die Emissionen nicht nur für das ADLER-Werk in Schwaz, sondern auch für alle Vertriebsgesellschaften und Servicestützpunkte erfassen. Aber auch weitere Bereiche von Scope 3, etwa die Emissionen aus den verarbeiteten Rohstoffen, wollen wir zukünftig noch genauer kennen. Ich bin aktuell viel damit beschäftigt, Daten aus den unterschiedlichsten Abteilungen zu recherchieren, zusammenzufassen und einzuordnen.
In Zukunft sollen diese Emissionen aber nicht nur erfasst, sondern auch deutlich reduziert werden, richtig?
Genau, das haben wir aber auch in der Vergangenheit schon getan. Unsere absoluten Emissionen für Treibstoff, Energie und Wärme sind seit 2016 um 18 % zurückgegangen, obwohl das Unternehmen in dieser Zeit kräftig gewachsen ist. Relativ zur Produktionsmenge sind die Emissionen sogar um 44 % zurückgegangen. Diesen Weg werden wir in Zukunft fortsetzen – und zwar noch engagierter und konsequenter als bislang und mit klar definierten Zielen.
Wie sehen diese Ziele aus?
Wir orientieren uns dabei an den sogenannten Science Based Targets. Im Pariser Klimaabkommen von 2021 wurde vereinbart, die Klimaerwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen. Dazu ist es nötig, mittelfristig – die EU hat das Jahr 2050 anvisiert – den sogenannten „Net-Zero-Standard“ zu erreichen. Das bedeutet: In jedem Land darf nur so viel CO₂ ausgestoßen werden, wie z.B. durch Pflanzen, Moore oder die Ozeane wieder „eingefangen“ wird. Dazu ist es nötig, unsere aktuellen Emissionen um 90% zu reduzieren. Die Science Based Targets geben den Weg vor, wie wir als Unternehmen dieses Ziel erreichen können.
Wie lässt sich eine so enorme CO2-Reduktion realisieren?
Für mich gibt es hier drei zentrale Leitlinien: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Effizienz bedeutet z.B., energiesparende Produktionsmethoden zu entwickeln oder Anlagen zu verbessern. Konsistenz hat mit umweltverträglichen Technologien z.B. im Transport zu tun sowie mit Kreislaufwirtschaft, mit der Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe oder Recycling. Ein ganz wichtiger Teil ist auch die Suffizienz, also das Hinterfragen des eigenen Verhaltens im Wissen, dass weniger oft mehr sein kann. Ein einfaches Beispiel: Wenn ich einen Geschäftstermin wahrnehme und dabei die kürzeste Strecke suche, ist das effizient. Wenn ich nicht mit dem PKW, sondern mit dem Zug fahre, ist es konsistent. Aber wenn ich gar keine Geschäftsreise unternehme, sondern stattdessen eine Videokonferenz abhalte, ist es suffizient – damit habe ich am meisten Emissionen eingespart. Das Problem dabei ist, dass der suffiziente Umgang mit Ressourcen oft im Widerspruch zum Wirtschaftswachstum steht. Hierfür passende Lösungen zu finden, gehört zu den dringendsten Aufgaben unserer Generation. Denn aktuell leben wir so, als hätten wir 1,75 Planeten. Europa nutzt die Natur sogar dreimal schneller aus, als sie sich regenerieren kann.
Welche Potenziale gibt es bei ADLER, um den CO2-Ausstoß im nötigen Maß abzusenken?
Ein großes Thema ist die Beheizung der Gebäude. Wir haben vor einigen Monaten am gesamten Werksgelände Aufnahmen mit einer Wärmebildkamera gemacht, um Schwachstellen in der Gebäudehülle zu erfassen und darauf aufbauend Maßnahmen zu definieren. Während unsere Neubauten energieeffizient sind und praktisch vollständig mittels Grundwasserwärmepumpen klimatisiert werden, gibt es im Gebäudebestand großes Einsparungspotenzial, nicht nur in der Gebäudehüllen, sondern auch bei den Heiz- und Lüftungssystemen. So sind beispielsweise in der Produktion 1 im Sinne der Gesundheit der Mitarbeiter hohe Luftwechselraten erforderlich. Umso wichtiger ist es, die warme Abluft im Winter durch Wärmerückgewinnung effizient zu nützen. Und natürlich werden auch unsere Neubauten im Projekt „Fabrik der Zukunft“ nach dem neuesten Stand der Gebäudetechnik errichtet und mit Wärmepumpen-Systemen sowie Photovoltaikanlagen ausgestattet. Längerfristig sind auch der Anschluss an ein Fernwärme-Netz oder an ein Biomassekraftwerk spannende Perspektiven für eine klimafreundliche Wärmeversorgung. Aber diese Projekte müssen regional durchdacht sein und nicht nur die Bedürfnisse von ADLER, sondern auch jene der Bevölkerung mitberücksichtigen. Daher sind wir in Kontakt mit der Stadt und umliegenden Betrieben, um klimafreundliche Energiekonzepte zu entwickeln.
Der zweite große Brocken ist der Transport – gibt es hier konkrete Pläne?
In Sachen emissionsarmer Transport tut sich derzeit zwar viel, aber die Technologien sind leider erst eingeschränkt praxistauglich. Am weitesten sind die Fortschritte bei PKWs. Wir haben in den vergangenen Monaten unterschiedliche Modelle getestet und werden in den nächsten Jahren schrittweise unsere Diesel-PKWs gegen Elektrofahrzeuge austauschen – wobei die Reichweite der Fahrzeuge und auch das Netz an Ladestationen derzeit noch limitierende Faktoren sind. Ich hoffe stark, dass sich auch bezüglich Lebensdauer und Recyclingfähigkeit der Batterien noch viel weiterentwickelt. Außerdem muss der nötige Strom künftig nicht nur bei ADLER, sondern global aus erneuerbaren Quellen bezogen werden, um tatsächlich nachhaltig zu sein. Für den LKW-Transport gibt es dagegen noch keine praxistauglichen Systeme: Elektrische Klein-LKWs besitzen weder die nötige Leistungsfähigkeit noch die Reichweite, die wir bräuchten, und Wasserstoff-LKWs sind für den Transport von Gefahrengut nicht zugelassen. Aber ich bin zuversichtlich, dass es hier in den nächsten Jahren ebenfalls große Fortschritte geben wird. Von zentraler Bedeutung ist meiner Meinung nach der multimodale Transport, das heißt verschiedene Verkehrssysteme zu nutzen und bei Langstrecken vermehrt auf den Transport per Bahn zu setzen. Hierfür werden aktuell mit unseren Speditionspartnern Bahnkonzepte erstellt.
Gibt es weitere relevante Potenziale?
Wie schon gesagt ist Effizienz natürlich ein Thema: Man kann Routen und Auslastung der LKWs optimieren und Leerfahrten reduzieren. Energie lässt sich sparen durch moderne Gebäude und Produktionsanlagen oder durch die Installation von LED-Beleuchtung, die wir jetzt schon in vielen Bereichen verwenden. Wichtig ist auch, das eigene Verhalten zu hinterfragen und darüber nachzudenken, was man wirklich braucht und worauf man auch verzichten kann. Generell muss man sich immer vor Augen halten: Den Weg zur Nachhaltigkeit kann man nur in vielen einzelnen Schritten gehen, und jeder, auch wenn er für sich klein ist, führt ein Stück näher zum Ziel.
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